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Wissenschafts­freiheit ist nicht Freiheit von Verantwortung

_Wissenschaftsfreiheit

Im Mai/Juni 2021 lud das FAM zu Reaktionen auf die Debatten um „Wissenschaftsfreiheit“ ein. Ein entsprechendes Statement wurde in kürzester Zeit von rund 500 Personen und Initiativen unterzeichnet und auf einer eigens eingerichteten Webseite veröffentlicht. Der Einsatz dieser Intervention bestand darin, gerade unter den Voraussetzungen der neoliberalisierten Hochschule die Frage nach der Verantwortung in die Bedingungen der Wissensproduktion einzutragen: Wie lässt sich Freiheit als aktiv und solidarisch herzustellende begreifen, statt sie als vermeintlich schon gegebene misszuverstehen? Statements weiterer Initiativen sollen fortlaufend auf der Webseite veröffentlicht werden.

Hier das Statement:

Wir sind ein Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, die sich aktiv für Wissenschaftsfreiheit einsetzen. Wir verstehen Wissenschaftsfreiheit als einen Prozess der Erweiterung von Teilhabe an Wissenschaft, und damit bedeutet Wissenschaftsfreiheit auch Ermöglichung: von Forschung, von Lehre und von Räumen kritischer Auseinandersetzung über jenes System Wissenschaft, dessen Funktionieren auch auf Diskriminierung, Prekarisierung und Ausschluss beruht.

Die Hochschule ist historisch ein Ort, an dem in besonderer Weise Macht und Wissen zusammenkommen. Daraus geht eine besondere Verantwortung hervor, und ein Anspruch auf Wissenschaftsfreiheit kann diesen Ort nicht als unschuldigen Ort verteidigen oder unbefragt lassen. Denn Wissenschaftsfreiheit ist vor allem durch bestimmte historisch gewachsene Verhältnisse von Macht eingeschränkt, deren Strukturen und Wirkweisen wenige Menschen, Perspektiven und Geographien bevorzugen. An vielen Orten kämpfen sowohl Wissenschaftler*innen als auch ganze Disziplinen um ihr Überleben. Gerade die Wissenschaft besitzt jedoch das Instrumentarium und damit die Aufgabe, die Grenzen der Freiheit von Wissensproduktion sichtbar zu machen und an der Verschiebung dieser Grenzen zu arbeiten. Aus unserem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit heraus fragen wir also danach, welcher vermeintliche Begriff von Freiheit darin eigentlich gesetzt ist, wenn diese Freiheit noch nie für alle galt. Auch fragen wir danach, wer in welcher Form Objektivität behauptet und einsetzt, um an einer Deutungshoheit der Wenigen festzuhalten. Wir glauben, dass Wissenschaftsfreiheit dazu beitragen kann, Hochschulen nachhaltig vielfältiger, kritischer und solidarischer zu gestalten.

Wissenschaftsfreiheit stellt für uns folglich die Basis für Aushandlungsprozesse dar. Diese Aushandlungsprozesse können und müssen in der Wissenschaft stattfinden, wenn Wissenschaft ihrem eigenen Anspruch nachkommen will, allgemeingültiges Wissen zu schaffen – Wissen von und für Viele – und sich dabei beständig selbst zu reflektieren. Erst dadurch kann sich dem Ideal der Wissenschaftsfreiheit angenähert sowie gewährleistet werden, dass sich Wissenschaft nicht von aktuellen Entwicklungen entkoppelt. Auf diese Weise kann sie auf eine Teilhabe hinwirken, in der sich die Vielfalt unserer Gesellschaft abbildet. Wir verstehen Wissenschaftsfreiheit als Freiheit von Diskriminierung, Ausschluss und Prekarisierung und damit als eine aktive Ermöglichung der Produktion von Wissen, Forschung und Lehre der Vielen.